Montag, 13. November 2006
Wie Phoenix aus der Asche
Bericht von der EMS-Delegationsreise in den Libanon

Man erkennt nicht auf den ersten Blick, was der „Sommerkrieg“ im Libanon auslöste. Die Trümmer in den Schiitenvierteln Beiruts sind weggeräumt. Geblieben sind leere Flächen, die irgendwann wieder bebaut werden. Die Stadt erscheint äußerlich weitgehend unberührt und genauso vom chaotischen Autoverkehr durchzogen wie sonst auch.
Die Libanesen selbst sind erfahren und erfindungsreich, wenn es um die Beseitigung von äußeren Kriegsschäden geht. Das kann man auf dem Highway zwischen Beirut und Tyrus beobachten. Immer da, wo eine Autobahnbrücke durch die israelische Luftwaffe gesprengt worden war, ist binnen kürzester Zeit die Ersatzfahrbahn geplant und verlegt worden. Es gibt immer Wege für levantinische Improvisationskünstler.
Bei den Gesprächen, die eine EMS-Delegation vom 17. bis 21. Oktober im Libanon führte, kam das immer wieder zum Ausdruck: Die Nachfahren der Phönizier erheben sich wie Phoenix aus der Asche. „Wie Phoenix aus der Asche“, wurde in den wenigen Tagen, in denen sich die Vertreterinnen und Vertreter der Württembergischen, Pfälzischen, Hessen-Nassauischen und Kurhessischen Evangelischen Kirche im Libanon aufhielten, zum gefügelten Wort.
Doch die Überlebenstechnik stößt an ihre Grenzen. Mischt sich doch in die Hoffnung auf eine positive Wende immer wieder eine gehörige Portion Sarkasmus. Wenn beispielsweise Habib Badr, der leitende Pfarrer der National Evangelical Church of Beirut (NECB), davon spricht, es sei gut, dass jetzt wieder Krieg gewesen sei. So habe man sich früher wiedersehen können als gedacht.
Für Libanesen ist vor dem Krieg nach dem Krieg und nach dem Krieg vor dem Krieg. Doch letztes Jahr hatte sich nach der Vertreibung der Syrer ein zartes Pflänzchen Zivilgesellschaft gezeigt. Heute munkelt man, die alten Warlords aus der Zeit des Bürgerkrieges säßen schon wieder in den Startlöchern. Kein Wunder, dass sich viele Christen nun endgültig überlegen, ob sie im Libanon noch einen Platz haben. Paul Haidostian, von der Union der Armensischen Kirchen im Nahen Osten beispielsweise berichtet, dass nach dem Sommerkrieg die Zahl der jungen gut ausgebildeten Christen, die das Land für immer verlassen hätten, erneut stark angestiegen sei.
Das bestätigen auch Mary Mikhael und George Sabra von der Near East School of Theology. An dieser Ausbildungsstelle für Theologinnen und Theologen für den gesamten Nahen Osten, nimmt die Zahl der eigenen arabischen Studierenden ständig ab. Nun sind in diesem Jahr auch noch die 35 Studierenden aus dem Westen ausgeblieben.
„Ihr wisst doch, was zu tun ist?“, fragt der Griechisch-Orthodoxe Bischof von Beirut, Elias Audeh, leicht erregt die Delegation, deren Besuchsprogramm Andreas Maurer und Habib Badr zusammengestellt hatten. Für ihn hat Israel im jüngsten Krieg unzweifelhaft auf die Provokation der Hisbollah reagiert. Aber in absolut überzogener Weise. Er könne es nicht mehr hören, wenn Europäer fragten, was sie tun könnten, so als wüssten sie nicht, wo die Konfliktlinien im Nahen Osten verliefen. Für ihn ist das Palästinaproblem das „Mutterproblem“ aller Konflikte im Nahen Osten.
Das ist jedoch nach der Einschätzung anderer Gesprächspartner nur die halbe Wahrheit. Für den protestantischen Wirtschaftsminister Sami Haddad liegen die Ursachen für die derzeitige Krise des libanesischen Staates und seiner Gesellschaft darin, dass der Libanon keine Nation mit einer einheitlichen Identität ist. Der Konfessionalismus hemme jegliche gesellschaftliche Entwicklung. Der Staat habe sogar Mühe seine Autorität in allen Regionen des Landes herzustellen, z.B. gegenüber der Hisbollah im Süden.
Von muslimischen Gesprächspartnern hört man die Bitte, die Christen mögen doch im Land bleiben, denn sie seien das Bindeglied zum Westen. So sagt das beispielsweise Jamil Wroweh, schiitischer Herausgeber und Chefredakteur des „Daily Star“, der einzigen englischsprachigen Zeitung im Libanon. Die libanesische Gesellschaft brauche endlich einen Konsens über die in ihr geltenden allgemeinen Regeln (rule book). Im Norden regelten die Sunniten, in der Mitte die Christen und im Süden die Schiiten ihre eigenen Angelegenheiten. Es fehle ein gesamtstaatliches öffentliches Verwaltungssystem. Er fordert eine zivilgesellschaftlich organisierte Demokratie nach angelsächsischem Modell.

Hat man die immer wieder durch Bombenkrater unterbrochene Autobahn kurz hinter den Schouffbergen Richtung Süden verlassen, kommt nach einer halben Stunde Fahrt die Schnellerschule in Sicht. Als die Delegation am Abend des 19.Oktober dort eintrifft, haben sich die Schülerinnen und Schüler in der großen Aula versammelt. Sie feiern laut und fröhlich das Al fidr-Fest zum Abschluss des Ramadan. Für die Schnellerschule ist das eine Neuerung, denn bislang waren nur die christlichen Feste gefeiert worden. Jetzt vermittelt das Fest den christlichen Schülern die Religion und Traditionen ihrer muslimischen Mitschüler. Tänze und Gesang wechseln sich mit kleinen Sketchen ab. Wer den Libanon und sein Schulsystem kennt, weiß um die Bedeutung dieses praktischen interreligiösen Dialogs, ist doch die Religion genauso wie die Politik in allen Bildungseinrichtungen eigentlich tabu. Der neue Leiter der Schule, George Haddad, sagt, dass während des Krieges, in dem viele Flüchtlinge in der Schnellerschule Zuflucht gefunden hatten, auch muslimische Frauen mit dem Koran in die Kirche gekommen seien, um dort zu beten, etwas, das vorher nicht denkbar gewesen sei. Und noch eine Neuerung gilt es zu berichten. Das Schnellerbrot wird mittlerweile an sechs verschiedene Supermärkte in Beirut verkauft. Ein Delegationsmitglied kommentierte dies schmunzelnd: „Warum können sie nicht auch die Deutsche Marine draußen auf dem Mittelmeer versorgen?“ Apropos bundesdeutsche Marine: Die einen belächeln den Versuch, so die Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern zu wollen. Andere tragen es der deutschen Bundeskanzlerin nach, die den Marineeinsatz mit dem Schutz Israels begründet hatte.
Fährt man wie die Delegation mit einer Sondergenehmigung des Geheimdienstes in den Süden, nach Al Khiam oder nach Marmayoum oder direkt an den Grenzzaun in Kfar Kila, erkennt man das ganze Ausmaß des Sommerkrieges. Überall teilweise oder ganz zerstörte Straßenzüge, auch in christlichen Dörfern. Hinter vorgehaltener Hand wird erzählt, dass die Hisbollah auch aus christlichen Dörfern heraus ihre primitiven und daher unberechenbaren Raketen über die Grenze nach Israel geschossen haben soll. Die Reaktion erfolgte prompt und ohne Rücksicht. Auch ein griechisch-orthodoxes Kloster wurde zerstört. Im Süden sehen sich die Christen als chancenlos. Die Hisbollah kümmert sich mit iranischem Geld um ihre schiitischen Anhänger. In diesem blutigen Spiel gibt es keine Sieger, nur Verlierer. Es sei denn, jemand führt solche Spielregeln ein, damit alle gewinnen können.
Dietmar Burkhardt, Öffentlichkeitsreferent der Hessen-Nassauischen Kirche

Teilnehmende der EMS- Delegationsreise in den Libanon Ende Oktober waren: Jürgen Quack für die Württembergische Landeskirche, Rainer Lamotte für die Evangelische Kirche der Pfalz, Cordelia Kopsch für die Hessen-Nassauische Kirche sowie Martin Lückhoff für die Evangelische Kirche Kurhessen-Waldeck. Begleitet wurde die Delegation von Andreas Maurer, EMS, Habib Badr von der ? NECB sowie Dietmar Burkhardt, der im vergangenen Jahr an der ? NEST „Christlich-Islamische Beziehungen“ studiert hatte.

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Donnerstag, 26. Oktober 2006
„Gott sei Dank! Es war wieder Krieg!“
20. Oktober 2006 nach dem "Sommerkrieg": Beirut wirkt in der Innenstadt wie immer.

Fährt man heute die Stadtautobahn vom Rafik-Hariri- Airport in die Stadt, so spürt man keinen Unterschied zu den vergangenen Jahren. Vielleicht etwas weniger Verkehr, aber die Häuser und Strassen sind intakt, das Leben in weiten Teilen Beiruts scheint in normalen Bahnen zu laufen. Geht man in die südlichen Stadtteile oder gar in die Dörfer im Süden an der Grenze zu Israel, so sieht man die massiven Zerstörungen. Viele Brücken und Stromleitungen sind zerstört. Libanesen sagen: Es war wieder Krieg, Sommerkrieg, wie sie diesen nennen. Ob es der letzte gewesen ist, bezweifeln ebenfalls viele, denn Zyniker haben in den gerade vergangenen relativ ruhigen Jahren immer schon behauptet: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg und vor dem Krieg ist nach dem Krieg.

Auch Habib Badr, der leitende Pfarrer der National Evangelical Church of Beirut begrüßte die Kirchendelegation aus Deutschland und Indonesien mit schwarzem Humor: „Gott sei Dank, es war wieder Krieg. So können wir uns so schnell wieder sehen!“ Er wie manche anderen auch, haben nach diesem Krieg den Eindruck, jetzt werde sich etwas Grundlegendes zum Besseren ändern, wie und was, konnte er noch nicht in Worte fassen.

Eine kurzfristig geplante Reise führte Vertreterinnen und Vertreter aus den Evangelischen Landeskirchen Württemberg, Pfalz, Hessen und Nassau, Kurhessen-Waldeck sowie einer Partnerkirche aus Indonesien für fünf Tage in den Libanon. Zum einen sollte damit, so der Nah-Ost-Referent des Evangelischen Missionswerks in Süd-West-Deutschland (EMS), Andreas Maurer, die Solidarität mit der Partnerkirche im Libanon ausgedrückt werden. Es sollte aber auch herausgefunden werden, wie in Zukunft die Protestanten, aber auch andere christliche Kirchen unterstützt werden können. Ein zentraler Diskussionspunkt war natürlich der immer wieder eskalierende Krieg mit Israel. Dazu hat die Delegation nicht nur mit evangelischen Kirchenvertretern mit Metropolit Elias Audeh von der Griechisch Orthodoxen Kirche Kontakt, sondern auch unter anderem mit Wirtschaftsminister Sami Haddad und dem schiitischen Herausgeber der einzigen englischsprachigen Tageszeitung Daily Star, Jamil Mroweh.
Groß sind die Zerstörungen im Süden. Im Rest des Landes betraf es vor allem Straßen, Brücken und andere Infrastruktur.

Immer wieder wurde in den Gesprächen betont, dass der Krieg den Libanon um 30 Jahre zurückgeworfen habe und die jungen Christen noch stärker als in den vergangenen Jahren in den Westen trieben. Die Angst ist da, dass es in ein paar Jahrzehnten keine Christen mehr im Libanon geben könnte.
Übereinstimmend beklagten alle Gesprächspartner, dass Deutschland und die anderen westlichen Staaten zu wenig täten, um den Konflikt zwischen Israel und Palästina zu entschärfen. Nur die Einrichtung eines lebensfähigen palästinensischen Staates könne dem ganzen Nahen Osten die Entspannung geben, in dem eine positive Entwicklung und Zukunft auch für die Christen möglich sei, dafür sollten sich die Gäste einsetzen. Mary Mikhael, die Präsidentin der Near East School of Theology in Beirut meinte zur Entwaffnung der Hisbollah, sie fürchte, dass der Versuch zu einem neuen Bürgerkrieg führen könnte, der Iran und die USA seien die eigentlichen Kriegsparteien.
Als großes inneres Problem erkennen vor allem jüngere Libanesen das konfessionalistische Proporzsystem des gesamten öffentlichen Sektors. Hier gilt die Regel: Jede Religion und Konfession muss gebührend bei der Postenvergabe berücksichtigt werden. Das lähmt jede Entwicklung. So fordert auch der Schiit Jamil Mroweh vom Daily Star, dass der Libanon sich zu einer Zivilgesellschaft entwickeln müsse. Christen sollten sich im Libanon zuhause fühlen können.

Die Kinder der Schnellerschule feiern am Ende des Ramadan das Zuckerfest

Die evangelischen Kirche und ihre Einrichtungen haben im Sommerkrieg ihre Häuser und Schulen für die Flüchtlinge geöffnet. Fast ein Viertel der Bevölkerung war vor allem aus dem Süden geflohen auf der Flucht. Die Christen leiden wie alle anderen Bewohnern des Landes unter den ungeheuren Zerstörungen der Infrastruktur (z.B. Sprengung von Brücken, Straßen und Elektrizitätswerken) durch die israelischen Luftangriffe. Viele Bauern im Süden des Landes können ihre Felder und Olivenhaine wegen der Blindgänger und Streubomben nicht abernten.

Die Mitglieder der Kirchendelegation sprachen auch über konkrete Projekte. Dabei ging es weniger um Geld. Wichtiger ist es, die Studienmöglichkeiten für deutsche Studierende und Pfarrer an der Near-East-School of Theology (NEST) aus zu bauen. Dort ist es möglich christlich-islamischen Dialog zu studieren. Wie immer, wenn kleine Jungs eine Kamera entdecken, fallen sie in typische Posen.
Auch in der Schneller-Schule in Khirbet Kanafar können junge Deutsche ihr freiwilliges soziales Jahr leisten. Sie ist eine Schule der NEBC mit angegliederter Berufsausbildung und wird von etwa gleich vielen christlichen wie muslimischen Kindern besucht. Sie gilt als ein Musterbeispiel für Friedenserziehung und Entwicklungshilfe und genießt im gesamten Nahen Osten einen hervorragenden Ruf.

Dietmar Burkhardt

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Freitag, 20. Oktober 2006
Flug nach Beirut
17. Oktober 2006

Check in: "Oh ihr seid Deutsche und ihr fliegt nach Beirut?" fragt die junge Libanesin am Check in. Wir bejahen. "Beruflich?" fragt sie. "Wir besuchen Kollegen", antworte ich, nicht ganz unrichtig.

Ein paar Minuten später. Wir haben schon unsere Bordkarten. Dann werden wir zurückgeholt. Do you want to fly Business class? Yes, of course, we like.

Wir fliegen bequem nach Beirut. Sind aber auch die fast einzigen Europäer, die nicht irgendwann einmal einen libanesischen Pass hatten oder immer noch haben.

Neben mir sitzt ein älterer Amerikaner mit libanesischem Migrationshintergrund, der in North Carolina lebt. Er hatte das Land nach dem ersten Bombenangriff verlassen und setzte jetzt seinen Urlaub fort. It´s dangerous, meint er und meint die politische Lage. Fragile like last year, I think.

Die zweite Überraschung nach dem Business flight Angebot folgte bei der Einreise am Rafik-Hariri-Airport in Beirut. "You don´t need a visa", sagte uns ein freundlicher Beamter hinter dem Schalter. You are most welcome. Nun gut, hatte ich endlich das doppelt gezahlte Visum von letztem Jahr heraus. Damals hatte man uns noch bei der Wiedereinreise von Syrien aus noch einmal abgezockt. Nun aber sind sie froh, dass wieder jemand kommt.

Und ich persönlich habe das Gefühl, wieder ein bisschen nach Hause zu kommen. Ich habe einfach an diesem Land einen Narren gefressen.

In Beirut, auf den ersten abendlich durch die Laternen geglätteten Blick, das gleiche Bild wie letztes Jahr. Nothing has changed. Der gleiche Kontrast zwischen Morbidität und Moderne, den ich so liebe.

Morgen werden wir die Innenseite erfahren, wenn wir reden. Mit denen, die hier wieder einen Krieg erlebt haben.

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